Ein Lob auf das Passiv

In vielen Schreibratgebern steht geschrieben, dass die aktive Ausdrucksweise der passiven vorzuziehen ist. Aktive Sätze und Verben drücken Dynamik, Handlung und Lebendigkeit – eben Aktivität – aus, während das Passiv statisch, holprig und schwerfällig daherkommt. Beide Ausdrucksformen sagen etwas über das Subjekt aus. Beim Aktiv lernen wir durch die Handlung etwas über das Subjekt, während wir beim Passiv etwas über die Person erfahren, auf dass sie keinen Einfluss gehabt hat und dass sie aber betrifft. „Tom rast durch die Ortschaft“ drückt aus, dass Tom offensichtlich eine Charakterschwäche (oder gute Gründe) hat, sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung zu halten deren Überschreitung durch das Wort „rasen“ hinreichend genug ausgerückt ist. Als „Tom geblitzt wurde“ ist es um ihn geschehen. Auf das „Blitzen“ an sich hat er keinen Einfluss, nur insofern, dass er es hätte vermeiden können, wenn er sein Handeln im Vorfeld angepasst hätte. Ebenso Politiker. Bis zum Wahltag können sie die Wahl beeinflussen, am Wahltag werden sie gewählt – oder eben nicht. Sie müssen es über sich ergehen lassen.

Wenn also Schwung in die Handlung kommen soll, ist es besser, aktive, dynamische Verben in der Aktivform zu verwenden. Wenn etwas ausgedrückt werden soll, dass jemanden betrifft und auf dass er keinen Einfluss hat, sollte die Passivform angewandt werden. „Die Tiger sterben aus“ trifft nicht den Kern der Sache, denn es ist kaum anzunehmen, dass sie das beabsichtigen. „Die Tiger werden ausgerottet“ trifft es besser, denn sie haben kaum Einfluss auf ihr Aussterben, gleichgültig wie es erfolgt. Das mag auch ein Grund dafür sein, dass das Passiv früher öfter auch als „Leideform“ bezeichnet wurde.

Es gibt also keine Regel, die besagt „Aktiv vor Passiv“, beides sind Ausdrucksformen, die Sachverhalte oder Charaktere präzise beschreiben können. Als Stilmittel sind sie ohnehin beliebig einsetzbar, je nachdem was die AutorInnen erzählen möchten.